aktualisiert am 02/11/2022 von Patrick

Wer in einer alten Stadt wie London unters Pflaster schaut, findet leicht verborgene Schätze. Man muss auf alles gefasst sein: ein Fresko aus dem 1. Jahrhundert, ein Paar mittelalterliche Schlittschuhe, oder auch ein Elefantenzahn wurde schon gefunden.

Bewegte Historie

London ist eine der ältesten europäischen Hauptstädte und hier lebten nacheinander Römer, Sachsen, Normannen, Tudors, Georgianer, Regency-Dandys und Viktorianer. Alle veränderten die Stadt, schufen neue prunkvolle Bauten und legten eine neue Lage über das schon Bestehende. Heute liegt London auf einer neun Meter dicken archäologischen Schichttorte.

verborgene Schätze im Untergrund

Das Problem dabei: London ist zugleich eine höchst lebendige Stadt und es ist immer etwas in Bewegung. Eine Großbaustelle folgt auf die andere. In der Nähe der Farringdon Station lag im Mittelalter ein großer Pestfriedhof. Anhand der Gebeine, die dort gefunden wurden, lässt sich das Leben in jener harten Zeit rekonstruieren.

Auf den Straßen London herrscht eigentlich immer reger Verkehr. Daher ergeben sich für die Archäologen sich nur selten und kurz Gelegenheiten, den Betondeckel zu heben und unter der Erde nach archäologischen Artefakten zu graben.

Doch seit im historischen Zentrum ein Bauboom ausgebrochen ist, haben Forscher die einmalige Chance, einen Blick unter die Oberfläche zu werfen und die Geschichte der Stadt zu erforschen. Die Ausbeute ist überwältigend. Die bisherigen Funde umfassen ein beachtliches Spektrum. So gibt es Funde aus dem frühen Mesolithikum (vor etwa 11000 Jahren) bis zur späten viktorianischen Zeit gegen Ende des 19.Jahrhunderts.

Farringdon Station
Farringdon Station

Aber auch alte, schon vor Jahrhunderten aufgelöste, dann überbaute und vergessene Friedhöfe werden bei den Bauarbeiten immer wieder entdeckt. Die Ausgrabungen liefern faszinierende Momentaufnahmen der Londoner Lebensverhältnisse im Lauf der letzten Jahrhunderte.
Auf der großen Baustelle wo bald der europäische Hauptsitz des Medienimperiums von Bloomberg London, eröffnet werden soll, stießen die Arbeiter in der zwölf Meter tiefen Baugrube auf eine der bedeutendsten frührömischen Stätten, die je in London entdeckt wurden. Mitten im alten Bezirk Cordwainer kamen nach und nach ganze Straßen, Fachwerkhäuser und Läden mit eingezäunten Vorgärten aus der Zeit nach 60 n. Chr. zum Vorschein. Sie waren so gut erhalten, dass selbst die Archäologen nur staunen konnten. Über 14 000 Artefakte wurden im Laufe der Grabungsarbeiten gefunden, darunter Münzen, Amulette, Zinnteller, Keramiklampen, Lederstiefel und -sandalen und mehr als 900 Kisten mit Töpferware. Sie helfen das Alltagsleben im römischen London besser zu verstehen.
Viele Funde sind sehr gut erhalten, denn früher floss hier, mitten im römischen Londinium, ein kleiner Wasserlauf namens Walbrook dessen Staunässe konservierte fast alles, was in die Erde fiel.

 

Pestopfer

Neben der Baustelle von Bloomberg ist der Bau der Crossrail, eine neue Pendlerverbindung für Bahn und U-Bahn, eine wichtige Quelle für neue Funde. Es ist das größte Bauvorhaben und zugleich die größte Grabungsstätte Europas und durchquert die Stadt von Ost nach West. Seit 2009 laufen die Arbeiten. Allein die Tunnel haben eine Gesamtlänge von 42 Kilometern. Für den Bau einer unterirdischen Schalterhalle muss man auf dem alten Bedlam-Friedhof die Überreste von mehr als 3 300 Londonern exhumieren. Die meisten von ihnen waren im 16. und 17. Jahrhundert gestorben, als die Pest immer wieder in den Straßen von London wütete. In den Kirchhöfen stapelten sich damals die Leichen. Die Stadt musste handeln und beschloss, einen öffentlichen Friedhof für die vielen Toten anzulegen. Als der Friedhof um das Jahr 1738 geschlossen wurde, war er hoffnungslos überfüllt. Schätzungsweise 30000 Tote wurden dort begrabenDas ganze Spektrum der Gesellschaft ist hier vertreten, von Verrückten über Kriminelle bis zur Gattin eines ehemaligen Lord Mayor of London. Man hofft durch die Untersuchung der Knochen etwas über die Evolution des Pestbakteriums zu erfahren.

Es dürfte ein ziemlich grauenvolles Leben gewesen sein, das die Einwohner des mittelalterlichen London geführt hatten. Isotopen und Knochenuntersuchungen an Skeletten aus dem 14. und 15. Jahrhundert legen das jedenfalls nahe. Viele Menschen litten an Mangelernährung, jeder Sechste hatte Rachitis. Man quälte sich mit kaputten Zähnen und Zahnabszessen, die harte Arbeit schädigte den Rücken und überlastete die Muskeln.
Auf die Landbevölkerung, die auf der Suche nach einem besseren Leben war, dürfte die Stadt trotz allem wie ein Magnet gewirkt haben. Isotopenuntersu­chungen zeigen, dass beinahe die Hälfte der untersuchten Skelette von Personen stammen, die außerhalb der Stadt aufgewachsen waren.

Oberirdische Funde

Man muss in London aber gar nicht immer tief graben. Beeindruckende Teile der römischen Stadtmauer aus dem zweiten Jahrhundert findet ihr immer noch deutlich sichtbar, etwa in Tower Hill und in St. Alphage Garden. In der Nähe des Museum of London sprengten deutsche Bomben 1940 ein Stück der alten Befestigung frei. In einer benachbarten Tiefgarage parken heute die Autos direkt neben einem der ursprünglichen Stadttore. Und wer sich beim Friseur an der Gracechurch Street, Ecke Leadenhall Market, die Haare schneiden lässt, kann im Souterrain einen Stützbogen der römischen Basilika aus dem zweiten Jahrhundert bewundern.
Zudem bietet die Themse durch den ständigen Wechsel von Ebbe und Flute eine große archäologische Fundgrube.

Haltet also bei eurem Aufenthalt in London immer die Augen auf. Vielleicht entdeckt ihr auch noch den ein oder anderen verborgenen Schatz.

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